Als ich vor vier Jahrzehnten in der Pflege anfing zu arbeiten, hatte ich zunächst großes Glück mit meinen Einrichtungen. Bald musste ich feststellen, Glück ist nicht beständig. Was ich in manchen Einrichtungen in den 70er / 80er Jahren zu sehen bekam, besonders in kleinen Privatklitschen, war oft mehr als ein Mensch verkraften konnte. Dagegen ist das, mit was sich heute MDK und Heimaufsicht herumschlagen, absoluter Kleckerkram. 

Es gab drei Möglichkeiten:

  • Abstumpfen, mitmachen, schweigen und "seinen Job" tun
  • Mund aufmachen und rausfliegen
  • Mund aufmachen und resigniert kündigen

Bei den schlimmsten Einrichtungen entschied ich mich für die dritte Möglichkeit, weil ich wusste, dass ich nichts geändert bekomme, wie Don Quichotte gegen Windmühlen renne, keine Unterstützung bekomme und dort vor die Hunde gehen würde. Wer kritisierte oder Missstände anprangerte bekam schnell seine Abhängigkeit zu spüren und verlor seinen Arbeitsplatz. In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich viel in der Pflege geändert. Der Maulkorb für die Beschäftigten blieb. Jetzt ist das erste Mal ein wirklicher Durchbruch gelungen:

 

 

Altenpflegerin durfte Missstände anprangern

 

 

Urteil: Kündigung verstieß gegen Grundrecht

 

Wer zum "Whistleblower" wird und seinen Arbeitgeber verpfeift, darf deswegen nicht automatisch gekündigt werden. Dies entschied der Europäische Menschenrechtsgerichtshof im Fall einer Altenpflegerin - und verdonnerte Deutschland zu Schadensersatz.

 

Die Richter in Straßburg gaben einer Altenpflegerin Recht, der wegen ihrer Kritik an den Zuständen in einem Heim fristlos gekündigt worden war. Damit sei gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit verstoßen worden, so das Gericht. Das öffentliche Interesse an Informationen über Mängel in der Altenpflege sei so wichtig, dass es gegenüber den Interessen des Unternehmens überwiege. Zugleich wiesen die Richter die Bundesregierung an, der 50-jährigen Pflegerin aus Berlin 10.000 Euro Schadensersatz zu zahlen.

 

Gegen das Urteil einer kleinen Kammer können beide Seiten binnen drei Monaten Rechtsmittel einlegen. Der Gerichtshof kann den Fall dann zur Überprüfung an die große Kammer verweisen, muss dies aber nicht tun.

 

Ermittlungen blieben ergebnislos

 

Die Frau hatte 2004 Strafanzeige gegen ihren Arbeitgeber gestellt, nachdem frühere Beschwerden über die unzureichende Personalausstattung und mangelhafte Pflegestandards fruchtlos geblieben waren. Die Ermittlungen wurden eingestellt.

 

Die Altenpflegerin wurde erstmals im Januar 2005 wegen wiederholter Erkrankungen entlassen. Als die Altenpflegerin daraufhin gemeinsam mit Freunden und der Gewerkschaft die Kündigung als Versuch der politischen Disziplinierung verurteilte, kündigte ihr der Arbeitgeber fristlos. Diese Kündigung wurde vom Bundesarbeitsgericht 2007 bestätigt.

 

Abschreckende Wirkung

 

Der Menschenrechtsgerichtshof kommt dagegen zu dem Schluss, die Altenpflegerin habe nicht wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben gemacht. Ihre Kritik sei auch vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen bestätigt worden. Zwar seien die Ermittlungen gegen ihren Arbeitgeber eingestellt worden. Allerdings sei für jemanden, der eine Anzeige erstatte, nicht vorhersehbar, ob die Ermittlungen zu einer Anklage führten oder nicht.

 

Mit der Kündigung seien nicht nur negative Folgen für die berufliche Laufbahn der Altenpflegerin verbunden, führt der Menschenrechtsgerichtshof weiter aus. Damit sei zudem auch eine abschreckende Wirkung auf andere Mitarbeiter des Unternehmens verbunden. Die Berichterstattung über den Fall könne sogar gesamtgesellschaftlich einen negativen Effekt haben, indem andere Arbeitnehmer in der Pflegebranche vom Anprangern von Missständen abgehalten würden. Die deutschen Gerichte hätten diese Aspekte nicht ausreichend gewürdigt.

 

 
Mit Material von dpa, afp und KNA


 

 

Gratis Homepage von Beepworld
 
Verantwortlich für den Inhalt dieser Seite ist ausschließlich der
Autor dieser Homepage, kontaktierbar über dieses Formular!